Mit meinem Buch will ich motivieren, Verständnis wecken und Einblick geben
Interview von Jonas Baumann-Fuchs, Verleger und selbst Fachpsychologe für Psychotherapie (FSP)
Max Hartmann, du schreibst ein Buch über deine Depression und trägst damit dazu bei, Menschen für psychische Krankheiten zu sensibilisieren. Hat es dich viel Überwindung gekostet, so offen über deine Krankheit zu schreiben?
Seit Jahren schreibe ich Tagebuch, was mir gerade in schwierigen Zeiten als Verarbeitung meiner Erlebnisse guttut. Das tat ich auch während der vielen Monate der akuten Phase meiner depressiven Episode. Mein Mentor hat mich ermutigt, diese Einträge zu veröffentlichen. Das Verfassen des Buches war allerdings eine herausfordernde Aufgabe. Zum ersten Mal entstand für mich ein umfassender Überblick über mein Ergehen in dieser Zeit.
Ich habe bewusst seit Beginn eine offene Kommunikation über meine Erkrankung gegenüber meinem Umfeld gepflegt, auch gegenüber den Behörden und der Kirchgemeinde. Das hat sich bewährt und hat sogar bei einigen ausgelöst, sich mit ihren eigenen depressiven Erfahrungen mir zu öffnen.
Dennoch kam mir mein Erleben erneut sehr nahe und hat «Flashbacks» ausgelöst, in denen ich in mein damaliges Ergehen versetzt wurde. Ich habe für das Verfassen des Buches eine gewisse Distanz gebraucht. Bei der Schlusskorrektur musste ich zwischendurch eine Pause machen, da ich einen leichten depressiven Rückfall erlitt. Die damaligen Erlebnisse haben mich psychisch überflutet.
Zwischendurch hatte ich auch Zweifel. Kann und will ich das alles so persönlich verfasst veröffentlichen? Doch gerade die Offenheit kann vielen hilfreich werden und ist für sie und mich wertvoll. Männer sind zudem in diesem Bereich oft sehr verschwiegen. Eine Depression ist mit einer gewissen Scham verbunden. Ausgerechnet mir passiert so etwas! Habe ich versagt?
Wissen von Betroffenen wird zunehmend auch als «therapeutische Hilfestellung» eingestuft. Was hast du selbst von anderen erkrankten Menschen gelernt?
Schon vor einigen Jahren lass ich das Buch «Hart und herrlich – Nachdenken im Leiden». Es wurde von meinem Pfarrkollegen Hans-Rudolf Bachmann verfasst, den ich persönlich kenne. Als ich selbst von meiner Depression eingeholt wurde, las ich es nochmals. Es half mir zu verstehen, was ich erleide, und gab mir wertvolle Anregungen. So entschied ich mich, regelmässig das seelsorgerliche Gespräch mit ihm zu suchen. Ein entscheidender Rat war, zu lernen, nach meiner Episode anders in meiner Lebensweise voranzugehen. Ich muss akzeptieren, dass ich nicht mehr dieselbe Kraft wie zuvor habe. Ich darf auch ja sagen zu meiner Einschränkung. Sie macht mein Leben wertvoll und bewahrt mich vor Rückfällen.
Ich bin dankbar, dass ich mit Einwilligung meiner mir vorgesetzten Behörde das Pensum auf 80 Stellenprozente reduzieren konnte und bestehende Konflikte im Arbeitsumfeld angepackt und bewältigt wurden.
Sehr wertvoll waren mir die Bücher von Andreas von Heyl, der leider nach kurzer und schwerer Krankheit 2016 verstorben ist. Er hat die erste Studie im deutschen Sprachraum zum Thema «Burnout und Pfarramt « und «Das Anti-Burnout-Buch für Pfarrerinnen und Pfarrer» verfasst. Ich konnte ihn für eine Weiterbildungstagung der Schweizerischen Pfarrgemeinschaft gewinnen, in der ich viele Impulse erhielt, die für mich wegleitend geworden sind.
Meine Offenheit hat zudem eine Freundschaft zu einem Mann ermöglicht, der auch von einer psychischen Erkrankung betroffen ist. Wir können unsere Erfahrung teilen und es tut gut, zu erleben, dass wir nicht allein sind.
Psychotherapie und Spiritualität – früher nicht denkbar, heute wird die Ressource der Spiritualität immer mehr erforscht und anerkannt. Wie siehst du als Betroffener diese beiden Begrifflichkeiten? In welchem Verhältnis stehen sie?
In meinen jüngeren Lebensjahren war ich der Meinung, dass praktizierende Christinnen und Christen keine Psychotherapie brauchen, da sie in ihrem Glauben die entscheidende Ressource haben. Doch später öffnete ich mich zunehmend für andere Hilfe. Wenn ich physisch krank bin, konsultiere ich den Arzt und bin für seine Dienste dankbar.
Ohne professionelle Diagnose, therapeutische Unterstützung und Einsatz von Medikamenten lässt sich eine Depression nicht bewältigen. Allerdings ist es nicht einfach, die geeignete Person und Form der Behandlung zu finden. Mir hat ein körperorientierter Ansatz sehr geholfen. Meine Ärztin hat aus ihrer Erfahrung rasch erkannt, was bei mir sinnvoll ist, und mit mir ein entsprechendes Programm erarbeitet.
Gleichzeitig ist mein Glaube eine heilsame Erfahrung geblieben und sogar verstärkt worden. Dabei sind mir vorformulierte Gebete und eine kurze Morgen- und Abendliturgie besonders dann sehr hilfreich, wenn mir die Kraft zu eigenen Worten fehlen. Auch die Psalmen sind eine Schatzkammer, aus der ich schöpfen darf. Sie ermutigen mich, schwierige Erfahrungen vor Gott aussprechen und seine Zusagen in Anspruch zu nehmen.
Was wünschst du dir, mit deinem Buch auszulösen?
Sicher ist jede Depression anders. Dennoch werden diejenigen, die das Buch lesen, eigenen Erfahrungen begegnen oder in ihrem Verständnis für solche gefördert, die in ihrem Umfeld betroffen sind. Sie werden ermutigt, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, sich abklären und behandeln zu lassen. Der Weg zurück zum Leben ist nicht einfach, aber möglich, auch wenn er viel Zeit benötigt.